Intro
Land ist unser LebenFamilien im Süden Brasiliens kämpfen für ein Leben ohne Agrargifte
von Mireille Remesch
Im Oktober 2019 war die entwicklungspolitische Referentin der Agrar Koordination im brasilianischen Bundesstaat Paraná und hat in Zusammenarbeit mit Prof. Antônio Inácio Andrioli und Liria Andrioli von der Universität UFFS (Universidade Federal da Fronteira Sul) in Laranjeiras do Sul, Gespräche mit Kleinbäuerinnen und Kleinbauern, Indigenen und Landlosen geführt. Begleitet wurde sie von Jaine Amorin, die Fotos und Videos erstellt hat.
Josue Gomes
Zum Anfang Zum Anfang Zum Anfang Zum AnfangAgrarökologie
Brasilien galt lange Zeit als Vorreiter in der Umsetzung von Agrarökologie. International ist der agrarökologische Ansatz auch von der Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) als zentrales Element zur Bekämpfung von Hunger und Armut anerkannt.
Das Konzept der Agrarökologie umfasst drei Kernbereiche: eine landwirtschaftliche Praxis, die Biodiversität erhält und fördert und die landwirtschaftlichen Ökosysteme widerstandsfähig macht; eine wissenschaftliche Disziplin, die bäuerliches und lokales Wissen einbezieht; ein politischer Ansatz und eine gesellschaftliche Bewegung, die kleinbäuerliche Strukturen ins Zentrum stellt und die Macht großer Agrarkonzerne beschränken will.
Familie Goncalves Gandin
Zum AnfangAuch die Nachbarn der Gandins bauen GV-Soja und Tabak an. Lässt man seinen Blick über die Landschaft schweifen, sieht man die Zerstörung des Landes. Nur Soja, Mais oder Weizen soweit das Auge reicht. Erschreckend ist es zu erfahren, dass es nicht nur die „großen“ Landwirte und Agrarbetriebe sind, die auf dieses Geschäft setzen, sondern dass auch viele Kleinbauern diesem Modell folgen. "Sie sagen sie könnten es nicht anders machen", erklärt Helena. Sie möchten ihre Ernte auf einmal verkaufen und haben Angst, dass sie mit Agrarökologie weniger Geld verdienen. Dabei müssen die Nachbarn alle ihre Lebensmittel kaufen.
Mit der GV-Soja kommen die Pestizide. In keinem Land der Welt werden mehr Pestizide versprüht als in Brasilien, etwa eine Million Tonnen jährlich. 47 Prozent der eingesetzten Pestizide landen auf den Sojafeldern.
"Ihre Plantage resistenter gegen Schädlinge und Insekten." Genossenschaft Coprossel – Technik im Dienste der Landwirte.
Pestizide vergiften Land und Leute
Pestizide vergiften Land und Leute
Im Jahr 2014 wurden in Brasilien 195.000 Tonnen Glyphosat verkauft. Das unter dem Markennamen „Roundup“ bekannte Pflanzenschutzmittel ist Nummer eins der eingesetzten Ackergifte in Brasilien, hergestellt durch die deutsche Bayer AG. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stufte Glyphosat im März 2015 als „wahrscheinlich krebserregend“ ein.
Von den in Brasilien meist verwendeten Wirkstoffen werden sieben vom internationalen Pesticide Action Network (PAN) als „hochgefährliche Pestizide“ eingestuft, darunter Glyphosat, Acephat und Atrazin. Das Herbizid Atrazin ist stark gewässergefährdend und Acephat ist hochtoxisch für Bienen. Beide Wirkstoffe sind in Deutschland verboten. Laut Larissa Mies Bombardi von der Universität Sao Paulo sind von den 150 im Sojaanbau in Brasilien erlaubten Pestiziden 35 in Europa verboten.
Universität UFFS (Universidade Federal da Fronteira Sul) in Laranjeiras do Sul
Universität UFFS (Universidade Federal da Fronteira Sul) in Laranjeiras do Sul
Die hohen weißen Gebäude der Universität ragen aus den sie umgebenden grünen Feldern hervor. „An diesem Ort haben wir in den letzten zehn Jahren Geschichte geschrieben und bäuerliche Landwirtschaft vorangebracht“, erzählt er. Die landwirtschaftlichen Studiengänge an der UFFS basieren alle auf Agrarökologie. Das heißt auch, dass die Wissenschaft bäuerliches und lokales Wissen über die örtlichen Böden und Pflanzen einbezieht.
Doch nun werden diese Errungenschaften durch die neue Regierung unter dem Rechtspopulisten Jair Bolsonaro gefährdet. „Das ist schmerzhaft“, sagt Andrioli.
Der seit Januar 2019 amtierende Präsident unterstütze aktiv die Ausweitung der Sojaanbauflächen und der agroindustriellen Viehhaltung.
Allein in den ersten hundert Tagen von Bolsonaros Amtszeit wurden 290 neue Pestizide zugelassen.
Agrarökologie sei aus dem Widerstand der Bäuerinnen und Bauern gegen die moderne Landwirtschaft entstanden, erzählt der 45-Jährige in einwandfreiem Deutsch. Der gebürtige Brasilianer und Sohn eines Sojabauern promovierte mit einem Stipendium von Brot für die Welt zum Thema Biosoja versus Gensoja an der Universität Osnabrück.
Auch das Freihandelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay) müsse verhindert werden. Dieses Abkommen gefährde die nachhaltige Landwirtschaft und wird nur weitere Monokulturen mit Soja und Zuckerrohr (Ethanol) zur Folge haben, so Andrioli.
Antônio lacht beim Sprechen. Seine Augen funkeln hinter der schwarzen Brille. Er kennt die Fakten und wird nicht müde die Umweltzerstörung durch den Sojaanbau und die Agrarindustrie, die an diesem Anbaumodell verdient, anzuprangern. Dank zahlreicher Kampagnen gegen die „agrotoxicos“, wie die Ackergifte hier genannt werden, stieg auch das Bewusstsein in der brasilianischen Bevölkerung.
Viel zu dieser Entwicklung beigetragen hat die Landlosenbewegung „Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra“, kurz MST. Die roten Fahnen und T-Shirts der MST sind hier auf dem Land überall zu sehen.
Widerstand
Staudamm Salto Santiago in der Nähe von Laranjeiras do Sul. Mehr als 13.000 Familien haben hier ihr Land verloren.
Staudamm Salto Santiago in der Nähe von Laranjeiras do Sul. Mehr als 13.000 Familien haben hier ihr Land verloren.
Kleinbauern kämpfen um Land und für ein Leben ohne Pestizide
Noch unter dem Präsidenten Lula Inácio da Silva, erstritt die MST eine Agrarreform, durch die tausende Familien Land erhielten oder Landtitel anerkannt wurden. Rund 45.000 Menschen gehören in Paraná der MST an.
Paraná ist das größte Gebiet der Agrarreform in Lateinamerika. 2019 leben mehr als 5.000 Familien in Siedlungen und 4.000 Familien leben auf besetztem Land in Camps.
Auch Darci und Marli Teresa da Silva gehören der Landlosenbewegung MST an. Auf ihren 12,5 Hektar kann es vielfältiger kaum sein. Neben Maniok, Reis und Bohnen wachsen Früchte, verschiedene Gemüse und Salate in ihrem Garten. Große Araukarien spenden den Pflanzen Schatten. Zwischendrin laufen einige Hühner. Schafe, schwarz-weiß gefleckte Schweine und zwei Rinder sind in ihren Gehegen.
Die grauen Haare von Darci glänzen in der Sonne. Er ist mit seinen 67 Jahren bereits in Rente und bekommt 400 brasilianische Real ausbezahlt, weniger als 100 Euro pro Monat. Die Arbeit muss trotzdem gemacht werden. Oft arbeiten sie zehn Stunden am Tag. An Tagen wie heute hilft sein Bruder. „Es braucht die Familie, um Agrarökologie machen zu können“, so der Kleinbauer.
Doch der Anbau in Monokultur laugt die Böden aus. Marli erzählt, es habe drei Jahre gedauert, bis das Land wieder fruchtbar war. Der Anfang in der Siedlung war schwer. Sie produzierten mit 15 Kühen konventionelle Milch. Doch dies funktionierte nicht. Obwohl die Familie der größte Milchproduzent in der Siedlung war, konnten sie mit den niedrigen Preisen der Molkereien nicht mithalten. Noch heute zahlen sie einen Kredit ab, der damals für die Produktion notwendig war.
An erster Stelle stehen für Darci und Marli die Gesundheit und die Versorgung der Familie mit gesunder Nahrung. „Agrarökologie, das ist Verbindung zum Leben, zur Natur und Umwelt“, so die Landlose. Sie haben sich für den agrarökologischen Weg entschieden, weil viele Familien nicht gesund waren. Das Kind ihrer Nachbarn zum Beispiel erkrankte schwer an der Leber und bekam mit zehn Jahren eine Lebertransplantation. Ein anderes Kind starb an den Folgen einer Vergiftung durch Pflanzenschutzmittel.
Soziale Bewegung
Agrarökologie stärkt soziale Bewegung
Doch die Förderung des Kaffeeanbaus innerhalb eines Programms der Agrarreform für Josue und seiner Familie, läuft im September 2020 aus. „Von der jetzigen Regierung werden wir kleinbäuerliche Familien keine Unterstützung bekommen“, so Josue, „das ist vorbei.“
„Das Schulspeisungsprogramm ist so wichtig, denn es unterstützt die agrarökologische Familienlandwirtschaft, verbessert das Einkommen für Bauern und bringt gesunde Lebensmittel in die Schulen und Universitäten.“
Prof. Antonio Andrioli
Lokale Produktion
Ivo und Denize Amorin leben mit 5 Personen auf 13 Hektar in der MST-Siedlung „Assentamento 8 de Junho“ in Laranjeiras do Sul.
Sie verkaufen ihre Produkte auf dem Markt in Laranjeiras do Sul und seit vergangenem Jahr haben sie ein kleines Restaurant in der Siedlung eröffnet. Auf der Speisekarte stehen frittierter Maniok, Hühnerfleisch und Fisch sowie frische Salate. Alle Produkte kommen aus ihrem Garten. Jetzt wollen sie in kleinem Maßstab Wurst, Käse, Joghurt und Milch selbst herstellen. Das Haus hierfür wird gerade von der Familie gebaut. Möglich ist dies Dank der Ausbildung der Tochter Sandra, die 2016 ihren Abschluss als Agraringenieurin an der nahegelegenen Universität UFFS machte. Zudem hilft ein Kredit von PRONAF über 100.000 Real (ca. 22.000 Euro), für den Bau des Restaurants und die Anschaffung notwendiger Geräte für die Lebensmittelproduktion.
Lokale Märkte sind wichtig
Seit 2016 gibt es in Laranjeiras do Sul feste Marktstände an denen kleinbäuerliche Familien täglich ihre Produkte verkaufen können.
Frauen organisieren sich: Kooperativen für gesunde Lebensmittel
Wie geht es weiter?
Die UFFS: Eine Universität für Alle
Sein Leben habe sich seit dem Amtsantritt Bolsonaros drastisch verändert. Das Amt als Vizepräsident der UFFS hat er verloren. Dabei baute er die Universität über viele Jahre mit auf. In Paraná ist sie eine von sechs staatlich geförderten Universitäten mit Schwerpunkt Agrarökologie. Als „Bauernuni“ bezeichnet sie der Professor. Im Gegensatz zu den meisten Unis im Land kommen 90 Prozent der Studenten von öffentlichen Schulen und nicht von Privatschulen. Damit ist hier der Anteil von Kleinbauern, Indigenen und Landlosen hoch. Josue der Kaffeebauer ist einer von ihnen. „Menschen, die sonst nie eine Chance haben, werden an der Schaffung von Wissen beteiligt. Das ist wichtig für die Demokratie“, sagt Andrioli.
Doch die Demokratie ist in Gefahr und mit ihr auch das, was sich Josue, Darci und Marli und tausende Familien in der Region aufgebaut haben. Die Universität UFFS hat bereits einschneidende finanzielle Kürzungen erlebt und es ist fraglich, ob das Schulspeisegesetz fortgeführt wird. „Zum Teil warten Familien bereits seit fünf Monaten auf die Bezahlung für ihre Lieferungen an die Schulen“, weiß Andrioli.
Den Repressalien widerstehen
Repressionen erfährt auch die soziale Bewegung in Südbrasilien. Organisationen wie CAPA und CEAGRO bekommen keine finanzielle Unterstützung mehr. Die Landlosenbewegung MST und insbesondere Frauenbewegungen werden diskriminiert und bei Ausschreibungen von Projekten und Forschung übergangen. Die Lage für Kleinbäuerinnen und -bauern, Landlose und Indigene ist bedrohlich geworden. In der Nähe von Laranjeiras do Sul kam es im Oktober in einem Camp von Landlosen zur gewaltsamen Vertreibung durch die Militärpolizei.
Unter der aktuellen Politik ist Agrarökologie alles andere als einfach. Doch die Bewegung in Paraná weiß, was sie kann und was sie bereits geschaffen hat. Die 700 Wissenschaftler*innen an den sechs Universitäten stellen zusammen mit den sozialen Bewegungen und den Bauern und Bäuerinnen eine große Kraft dar. Es ist ihnen trotz aller Hindernisse zuzutrauen, das agrarökologische Projekt am Leben zu erhalten. Denn Land, so sagen sie, sei ihr Leben.
Herausgeber:
Agrar Koordination
Nernstweg 32
22765 Hamburg
www.agrarkoordination.de
Autorin:
Mireille Remesch
Kontakt:
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März 2020